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Ernährung: Warum immer mehr Menschen eine Lebensmittelunverträglichkeit haben

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Immer mehr Menschen stellen bei sich selbst eine Lebensmittelunverträglichkeit fest. Doch ist das alles nur eine Modeerscheinung oder sind Lebensmittelallergien und -unverträglichkeiten wirklich auf dem Vormarsch? Und falls, ja woran liegt das? In diesem Bericht sprechen wir über den aktuellen Stand der Forschung und schauen uns zudem die Unterschiede zwischen einer Lebensmittelunverträglichkeit und einer Lebensmittelunverträglichkeit an.

Heute geben etwa 20 % aller Männer und 30 % aller Frauen in Deutschland an, unter einer Lebensmittelunverträglichkeit oder Lebensmittelallergie zu leiden – eine Zahl, die höher ist als jemals zuvor [1]. Egal ob Laktoseintoleranz, Glutenunverträglichkeit oder Erdnussallergie – Vielfalt und Menge an Lebensmittelunverträglichkeiten und -allergien haben in den letzten Jahrzehnten drastisch zugenommen. Die Frage ist: Was sind die Ursachen für diese Epidemie?

Eine Lebensmittelunverträglichkeit ist keine Allergie

Bevor wir uns mit den Gründen für die Zunahme von Lebensmittelunverträglichkeiten und Lebensmittelallergien beschäftigen, müssen wir zunächst einmal klären, wo der Unterschied zwischen diesen beiden Dingen liegt. Lebensmittelallergien und -unverträglichkeiten werden zwar oft verwechselt, da ihre Symptome ähnlich erscheinen können, tatsächlich handelt es sich aber um zwei ganz unterschiedliche Phänomene!

Eine Lebensmittelallergie betrifft das Immunsystem und tritt auf, wenn der Körper auf ein Protein in bestimmten Lebensmitteln reagiert, die normalerweise harmlos sind. Die Reaktionen treten in der Regel sofort auf und können bereits nach dem Kontakt mit sehr kleinen Mengen des Lebensmittels auftreten. Die Symptome einer allergischen Reaktion äußern sich auf vielfältige Weise, z.B. durch Hautausschläge, Juckreiz, Nesselsucht oder Schwellungen, und können in schweren Fällen zu ernsthaften Atemproblemen und sogar zum Tod führen. Zu den häufigsten Nahrungsmittelallergien gehören Eier, Erdnüsse, Soja, Milch, Weizen, Fisch und Schalentiere [2,3]. In Deutschland sind etwa 3-4 % der Gesamtbevölkerung von einer Lebensmittelallergie betroffen [4].

Bei einer Lebensmittelunverträglichkeit hingegen ist das Immunsystem nicht beteiligt, sondern es handelt sich um eine chemische Reaktion, die durch Stoffe ausgelöst wird, die von Natur aus in Lebensmitteln vorkommen (z.B. Laktose oder Gluten) oder die bei der Verarbeitung von Lebensmitteln entstehen (z.B. Konservierungsmittel, künstliche Farb- und Aromastoffe) [3]. Die Reaktionen sind dosisabhängig, und verschiedene Menschen vertragen unterschiedliche Mengen einer bestimmten Chemikalie. Zu den häufigsten Unverträglichkeiten gehören Laktose, Histamin, Tartrazin (künstlicher Lebensmittelfarbstoff), Sulfite (Konservierungsmittel), Mononatriumglutamat (MSG) und in zunehmendem Maße auch Gluten. Eine Lebensmittelunverträglichkeit ist selten lebensbedrohlich und tritt meist erst Stunden oder Tage nach dem Verzehr des Lebensmittels auf. Die Symptome werden im Allgemeinen als unangenehme Reaktion auf ein bestimmtes Lebensmittel beschrieben, die sich in Form von Bauchkrämpfen, Blähungen, Erbrechen und Durchfall äußert [2]. In Deutschland sind 20-30 % der Menschen der Ansicht, dass sie eine Intoleranz gegen ein oder mehrere Lebensmittel haben – Tendenz stetig steigend [1]!

Warum immer mehr Menschen eine Lebensmittelunverträglichkeit haben

Es gibt bisher zwar keine einheitliche wissenschaftliche Erklärung dafür, warum wir immer häufiger allergisch auf bestimmte Lebensmittel reagieren, dafür gibt es aber einige vielversprechende Theorien, die dieses Phänomen potentiell erklären können:

  • Vitamin-D-Mangel: Die meisten Menschen auf der Welt halten sich heutzutage weniger an der frischen Luft bzw. in der Sonne auf, was sich natürlich erheblich auf die Menge an Vitamin D auswirkt, die wir produzieren und in unserem Körper speichern (anstatt auf Wiesen oder Feldern arbeiten die meisten von uns den ganzen Tag über in einem klimatisierten Büro). Eine verringerte Produktion und ein erhöhter Körperfettanteil (Fett fängt Vitamin D ab, sodass es von unserem Körper nicht mehr genutzt werden kann) führen dazu, dass die meisten Menschen an einem Vitamin-D-Mangel leiden. Vitamin D ist für die Entwicklung eines gesunden Immunsystems jedoch von entscheidender Bedeutung, sodass ein Mangel uns daher anfälliger für Allergien und Unverträglichkeiten macht.
  • Zu viele Antibiotika und Pestizide: Eine gesunde und vielfältige Darmmikrobiota ist der Schlüssel zur Entwicklung eines starken Immunsystems, da dies die Wahrscheinlichkeit einer Darmdurchlässigkeit verringert, die uns anfälliger für Allergien macht. Es wird vermutet, dass die zunehmende Belastung durch Antibiotika und Pestizide in der westlichen Welt sowie die ballaststoffarme Ernährung unsere Darmflora aus dem Gleichgewicht bringen.
  • Hygiene-Hypothese: Viele Studien haben gezeigt, dass in Ländern, in denen man mehr Schmutz und Parasiten ausgesetzt ist, ein deutlich geringeres Allergierisiko besteht. Insbesondere Parasiteninfektionen werden normalerweise durch denselben Mechanismus bekämpft, der auch bei der Bekämpfung von Allergien zum Tragen kommt. Da es weniger Parasiten zu bekämpfen gibt, wendet sich das Immunsystem gegen Dinge, die eigentlich harmlos sind, wie z.B. Lebensmittel. Je früher sich das Immunsystem mit Krankheitserregern auseinandersetzen muss, desto besser entwickelt es seine Immunität.
  • Veränderte landwirtschaftliche Praktiken: In den letzten Jahrhunderten haben sich unsere Anbaumethoden dramatisch verändert – und das hat natürlich auch eine Auswirkungen auf die Qualität der Lebensmittel, die wir essen. Unsere Lebensmittel werden in Massenproduktion hergestellt und so schnell wie möglich angebaut, was bedeutet, dass es mehr potenziell immunologisch aktive Proteine in unserem Lebensmittelsystem gibt, wodurch das Potenzial für allergische Reaktionen steigt. Das Gleiche gilt für Umweltgifte.

Die Welt verändert sich schnell – zu schnell für unseren Körper

Letztendlich laufen all diese Denkansätze darauf hinaus, dass sich unser Leben und unsere Ernährung in den letzten Jahrzehnten extrem schnell verändert haben – und das war leider viel zu schnell für unseren Körper! Den Homo Sapiens – also die Urform des modernen Menschen – gibt es inzwischen seit etwa 300.000 Jahren, weiter entwickelte Formen wie den Neandertaler mit heller Hautfarbe seit ca. 90.000 Jahren [5]. Zwischen der Urform des Menschen, dem Homo Erectus, und dem Homo Sapiens liegt sogar mehr als eine Millionen Jahre! Das ist eine ziemlich lange Zeit, wenn man beispielsweise bedenkt, dass unsere moderne Zeitrechnung erst seit 46 vor Christus, also seit etwa mehr als 2.050 Jahren, gilt. Und in all der Zeit seit seiner ursprünglichen Entstehung hat sich der Mensch und sein Körper kontinuierlich weiterentwickelt und sich an die wechselnden Lebensbedingungen angepasst. Diese Phänomen nennt sich Evolution – also die Veränderung von Organismen über Generationen hinweg. Ein Spiel, das in jeder Generation neu gespielt wird. Ein Spiel, das Zeit benötigt! Und genau diese Zeit fehlt uns aktuell!

Unser Streben nach technologischem Fortschritt und Wachstum hat uns inzwischen an einen Punkt gebracht, an dem wir die Grenzen der natürlichen Evolution nicht nur überholt, sondern innerhalb kürzester Zeit mehrfach umrundet haben! Nehmt zum Beispiel die Industrialisierung: Diese hat sowohl unseren Lebensalltag als auch unsere Lebensmittelproduktion massiv verändert. Die meisten Lebensmittel werden inzwischen in riesigen Massen produziert und mit zahlreichen künstlichen Zusatzstoffen, Konservierungsstoffen und Co. versetzt. Dabei steckt unser Körper aus evolutionsbiologischer Sicht allerdings wahrscheinlich noch irgendwo zwischen Antike und Mittelalter fest. Damals gab es aber noch keine beheizten Büroflächen, geschweige denn irgendwelche künstlich behandelten oder synthetisch produzierten Lebensmittel. Und da sich unser Leben und unsere Ernährung in den letzten 100 Jahren besonders schnell und drastisch verändert hat, ist es nun doch kein Wunder, dass immer mehr Menschen eine Lebensmittelunverträglichkeit oder eine Lebensmittelallergie entwickeln. Unsere Körper hatten schlicht und ergreifend einfach noch keine Zeit, sich auf die neuen Lebens- und Ernährungsbedingungen einzustellen (was ein Grund für die Entstehung und Popularität der Paleo-Diät ist). Dafür spricht im Übrigen auch, dass es sich bei den gängigen Lebensmittelunverträglichkeiten immer um Produkte bzw. Stoffe handelt, die wir erst seit dem späten Mittelalter in größeren Mengen durch unsere Nahrung aufnehmen (Laktose durch Milch, Gluten durch Getreide oder verschiedene Farb- und Konservierungsstoffe). Zwar kann man auch gegen anderen, “altertümliche” Lebensmittel eine Unverträglichkeit oder Allergie (z.B. Histamin) entwickeln, allerdings treten diese Fälle im Verhältnis viel seltener auf als die zuvor genannten Beispiele [1, 2, 3].

Wie man erkennt ob man an einer Lebensmittelallergie oder -unverträglichkeit leidet

Hierin liegt ein weiterer großer Unterschied zwischen Nahrungsmittelallergie und Nahrungsmittelunverträglichkeit. Es gibt eine gültige und zuverlässige Methode, um Lebensmittelallergien zu testen und zu diagnostizieren. Für Lebensmittelunverträglichkeiten gibt es das jedoch nicht (sorry Leute!).

Zur Diagnose von Lebensmittelallergien verwenden Mediziner derzeit Hauttests, Pflastertests und Bluttests. Keine dieser Methoden reicht jedoch für eine Diagnose aus. Die Ergebnisse dieser Tests müssen zusammen mit der Krankengeschichte des Patienten berücksichtigt und durch einen oralen Test bestätigt werden, der den Goldstandard für die Diagnose einer Lebensmittelallergie darstellt. Bei der oralen Provokation wird das verdächtige Lebensmittel für eine gewisse Zeit mit einer Eliminationsdiät (in Zusammenarbeit mit einem Ernährungsberater) ausgeschlossen und dann wieder eingeführt. Der Prozess der Wiedereinführung hängt von der Schwere der vermuteten allergischen Reaktion, der Anzahl der Lebensmittel, die im Verdacht stehen, eine allergische Reaktion auszulösen, und den Ergebnissen früherer Allergietests ab. Aufgrund des Risikos, das mit einer oralen Lebensmittelprüfung verbunden ist, sollte diese nicht eigenständig, sondern entweder unter ärztlicher Aufsicht oder mit ärztlicher Genehmigung durchgeführt werden [2, 6].

Leider gibt es bei Unverträglichkeiten (mit Ausnahme von Laktose) keine Blut-, Atem- oder Stuhltests, mit denen sich Lebensmittelunverträglichkeiten genau bestimmen lassen. So verlockend und vielversprechend diese Tests auch sein mögen – und so sehr Ihr euch auch nach Antworten sehnt – die Wissenschaft sagt, dass Ihr euch euer Geld besser sparen solltet! Die Welt der personalisierten Ernährung ist auf dem Vormarsch, aber wir sind noch lange nicht am Ziel. Wenn Ihr den Verdacht habt, dass Ihr unter einer Unverträglichkeit leidet, empfehle ich euch, euch mit einem Ernährungsberater oder einem registrierten Diätassistenten in Verbindung zu setzen, um einen maßgeschneiderten Ernährungsplan für euch auszuarbeiten. Während Ihr auf einen Termin wartet, solltet Ihr schon mal ein Ernährungstagebuch führen, in dem Ihr genau festhaltet, welche Lebensmittel Ihr wann gegessen habt und welche Symptome Ihr nach dem Verzehr dieser Lebensmittel verspürt.

Referenzen

  1. Springer Medizin (2018). Lebensmittelunverträglichkeit: Frauen häufiger betroffen als MännerHeilberufe 70(43) .
  2. Guandalini, S., & Newland, C. (2011). Differentiating food allergies from food intolerances. Current gastroenterology reports13(5), 426-434.
  3. Matissek, R. (2019). Unverträglichkeitsreaktionen/Allergien gegen Lebensmittel. In Lebensmittelchemie (pp. 517-534). Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg.
  4. Ehlers, A., Richter, K., Hirsch-Ernst, K. I., & Lampen, A. (2021). Lebensmittelallergie: Verbraucherschutz und RisikobewertungAllergo Journal30(4), 14-23.
  5. Schrenk, F. (2019). Vom Menschenaffen zum modernen Menschen. In Explodierende Vielfalt (pp. 147-157). Springer, Berlin, Heidelberg.
  6. Turnbull, J. L., Adams, H. N., & Gorard, D. A. (2015). The diagnosis and management of food allergy and food intolerancesAlimentary pharmacology & therapeutics41(1), 3-25.

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